Abschied

Es war schön, es war traurig und es war ein überwältigender Stress, meine Abschiedsparty, die Frauen haben mir traditionelle Schuhe gekauft, Gemüse mitgebracht, mich umarmt und geherzt, fast hätte ich weinen müssen, ich freue mich auf die Rückkehr ins vertraute Leben und dennoch bin ich traurig über den Abschied. Um mich zu verabschieden habe ich etwa dreissig Leute zu einem Essen im Centre eingeladen, von diesen dreissig Leuten kannte ich nicht alle, da waren auch die Männer und die Frauen, die Kinder von denen die ich kenne, aber irgendwie kamen immer mehr Leute, die ich nicht kannte und nirgends zuordnen konnte, es hörte nicht auf, und noch mehr und noch mehr und solche, die ich kannte, aber nicht eingeladen hatte und dann doch noch die Notablen und alle Frauen vom Chef und alle Kinder und noch mehr Frauen und immer mehr Männer und Kinder wie Sand am Meer, ich hatte dreissig eingeladen, es kamen etwa hundertzwanzig Leute und zum Abschluss kam auch noch der Fussballclub Ngoundoup, der ein Tournier gewonnen hatte und seinen Pokal dem Chef zeigen wollte, mit einem Mbambeluh Schlachtlied.

Wie schon gesagt, ich hatte dreissig eingeladen, Essen hatten wir etwa für fünfzig, der Besucherinnenstrom, der irgendwie nicht versiegen wollte, brachte mich doch ein wenig in Stress, das Essen wird nie reichen, was werden die Leute nur denken, vor allem die, die ich eingeladen habe wenn die, die ich nicht eingeladen habe schon alles aufgegessen haben? Aber das war für alle kein Problem, niemand war beleidigt, alle zufrieden und auch das letzte Restchen gegessen. Es sei eine Ehre, dass so viele Menschen gekommen sind, hiess es, ich persönlich hätte nichts gegen den kleineren Rahmen gehabt, aber fürs Mbambeluh war es sicher gut.

Nun bin ich zurück in der Wohnung, wieder alleine, die Koffer sind gepackt, das mit dem Putzen will nicht klappen, seit drei Tagen bekomme ich kaum Wasser, und das Problem mit der Maus hat sich an meinem letzten Abend gelöst. Das elende Vieh kam nicht durch irgendwelche Ritzen in Tür oder Fenster rein, nein, es kannte einen Weg, den wir nicht in Betracht gezogen hatten. Omar gehörte zu den geladenen Gästen, die essenstechnisch leer ausgingen, da er sowieso schon dünn ist, habe ich ihm von meinem Reis mit Gemüse und Erdnüsschen angeboten. Nach dem Essen trug er seinen Teller in die Küche, und wer sass dort? die Maus! Er schloss die Türe und begann mit der Jagd und ich setzte mich auf den Esstisch im Wohnzimmer, es rumpste und pumpste und ich wartete und hoffte, und endlich kam Omar, nach erfolgreicher Jagd und mit dem längst fälligen Wissen über den Weg der Maus. Das Loch, das für das Abwasserrohr im Boden ist, ist grösser als das Abwasserrohr, gross genug für das kleine, hinterlistige Vieh, das sich wahrscheinlich über unsere diversen Barikaden ins Fäustchen gelacht hatte, oder, noch fieser, die Barikaden gar nie bemerkt hatte. Damit schliesst sich der Kreis irgendwie, Omar hat das Loch verstopft, möglicherweise ist die Wohnung jetzt endlich mausfrei und ich reise ab.

Mbambeluhteam

Für die, die traurig sind, dass ihr abendliches Leseritual ein Ende findet, ich hatte grossen Spass am Schreiben und ich werde den Blog sicher weiterführen, ich kann noch nicht sagen wie oft ich schreiben werde, da ich zu Hause wieder ein intaktes soziales Abendleben führen werde, aber ich will weiter schreiben, es tut mir gut und es ist sehr schön, dass so viele gerne lesen, was ich erzähle. Wer weiss, vielleicht ist auch Bern spannend und sicher sind es meine Besuche in den vielen Wochenbetten, die mich meist auch kreuz und quer durch die ganze Welt führen. Am Samstag bin ich Inshallah wieder in der Schweiz, um dann endlich Ferien zu machen, im Elsass mit SpeedPed und Turtle (das heisst, Ebike und Zeltanhänger), dann noch Berlin mit Michèle (Schulabschluss Gottengeschenk), ja, Olaf wir kommen! Und ab Juli könnte es ein Hebammenblog werden, oder auch etwas anderes.

Mbambeluh 3!

Aus Mbambeluh 100 oder wenigstens 30 ist nichts geworden, aber Mbambeluh 3 ist ein grosser Junge, der sofort und unaufhörlich saugt, zum Ärger seiner Mutter, sie möchte schlafen. Ich eigentlich auch, hier ist es jetzt 06:20, also wieder eine durchgemachte Nacht, aber gestern am Abend habe ich mir ein Bier geöffnet und nach der halben Flasche kam das Telefon, Gebärende im Anmarsch, siebtes Kind, da habe ich dem halben Bier den Deckel wieder übergestülpt und es zum Warten in den Kühlschrank gestellt, und es hat gewartet, ich bin sowieso noch etwas Adrenalin geschwängert, also trinke ich jetzt die zweite Hälfte und erzähle euch von der Geburt. Das siebte Kind hat gedauert, es nahm sich Zeit, wollte nicht ruck zuck geboren werden. Die Frau war in Begleitung ihrer Schwägerin, die ihre Zeit im Centre sofort nutzte, sich auf ein Bett legte und schlief, auf einmal lag auch noch der Gardien in einem Bett im Patientinnenzimmer und schlief auch, ich fand das nicht besonders toll und so waren wir zusammen mit der Frau in eben diesem Zimmer, umgeben von den Schlafenden, den Gardien haben wir dann mit Paravants abgetrennt, die Schwägerin durfte offen schlafen.

Der Gardien hinter Paravant und unter Leintuch.

Ein kurzer, erneuter Exkurs zu unserem Gardient, wie schon beim letzten Mal, schlief er tief und fest, unser Bewacher, um Mitternacht läutete sein Handy, und läutete und läutete und… kein Wank! Ich hatte mir wirklich vorgestellt, dass ein Nachtwächter in der Nacht wach ist, oder zumindest vor den anderen aufwacht, aber vielleicht ist das kulturbedingt verschieden. Ich habe dann halt sein Telefon versteckt, aber Ramatou zeigte Bedauern mit ihm und weckte ihn. Das Telefon um 24:00 war sein Wecker, er musste aufstehen zum Beten, also ist er zum Gebet losgezogen und ward nicht mehr gesehen. Soviel zum Nachtwächter, unsere Gebärende profitierte jedoch von seinem Weggang, sie hatte nämlich überhaupt keine Lust im Gebärzimmer zu gebären, sie wollte das weiche Bett in der Nähe haben und so kam es, dass die dritte Geburt im Mbambeluh im Patientinnenzimmer stattfand. Es ging schleppend voran und die Frau fand das nicht so toll und die Schwägerin, die während den Presswehen aufwachte, fand es gar nicht gut, wenn die Gebärende nicht in den Gebärsaal geht und ich fand, dass die Gebärende entscheiden soll wo sie gebären möchte und Ramatou und Bijou hatten zum Glück keine Meinung.

Mbambeluh 3!

Die Geburt war eindrucksvoll, so eindrucksvoll, wie Geburten sind, wenn man die Frauen machen lässt und sie zu ihren Höchstleistungen auflaufen. Der Kleine hatte die Nabelschnur um den Hals und war im ersten Moment etwas schlaff, ich legte ihn der Mutter auf die Brust, frotierte ihn und schon war er präsent und wollte an der Brust saugen, die Mutter fand die Idee mit dem nackten Kind auf sich eher blöd, sie wollte, dass er schnell eingekleidet wird und dass sie schlafen kann, nicht ganz das, was ich mir vorgestellt hatte, aber beim siebten Kind, da hat man es wahrschenlich schon ein wenig gesehen und wo hört die Augenhöhe auf und wo fängt die Bevormundung an? das ist die Frage, die ich ehrlich gesagt nicht schlüssig beantworten kann, auch weil ich persönlich finde, dass sieben Kinder etwa vier zu viel sind. Natürlich haben wir den Wunsch der Mutter respektiert und den kleinen Buben in dicke synthetische Wollsachen gepackt. Und gesaugt hat er dann doch noch und er hat auch nicht mehr aufgehört zu saugen, er hatte einen riesen Hunger nach dieser Gebärerei.

Falls der Bericht etwas wirr ist, verzeiht bitte ich schreibe nach einem zweiten halben Bier und einer durchwachten Nacht, heute gebe ich übrigens mein Abschiedsessen und morgen früh fahren wir los, Omar, Abdulah und ich, und ab morgen Abend dann nur noch ich. Jetzt gehe ich etwas schlafen und dann packe ich und putze ich und bereite noch etwas für heute Abend vor.

Die ersten Verletzten

Ja, genau so ist es, heute kamen die ersten Verletzten ins Centre. Ein glimpflich abgelaufener Töff Unfall, zwei Bororo-Männer auf dem Weg zum Viehmarkt, sind mit einem Bamoun, der seinen Töff wendete, zusammengestossen, beide Bororos waren von oben bis unten mit Schürfwunden gesprenkelt, das hiess desinfizieren und einer hatte noch ein Loch im Knie, das musste genäht werden und so kam Rafiatou zum ersten Mal in den Genuss eines sterilen Nahtsets und war restlos überfordert. Während ich schockiert war, als sie den Mann unsteril zusammennähen wollte, war sie schockiert über das Theater, das ich veranstaltet habe, steril? wozu? er kriegt so oder so Antibiotika, sie hat dann aber fast steril gearbeitet. Den Zweiten legte sie auf die blutverschmierte Unterlage vom ersten, und Susle, wieder an der Decke, nach Luft ringend, aber es sind doch Brüder, schon mal gehört, dass Brüder einander auch Krankheiten anstecken können? Nein? Aber leider ist es so und in dem Falle glaube ich kaum, dass die Familie sagen wird, so schön, dann bleibt es in der Familie. Während Rafiatou nähte, hielt ich ihr die Taschenlampe hin, aber ich hielt es nicht lange aus, meine Knie wurden immer weicher und ich musste raus, ich bin Hebamme und nicht geschaffen für Töffunfälle, auch nicht wenn alles nur halb so schlimm ist.

Nach der kleinen Chirurgie, so nennt man das hier, wenn einer zusammen genäht wird, oder wenn ein Abszess eröffnet wird oder sonst etwas gruseliges unternommen wird, einfach alles das nicht in den Operationssaal muss, musste ich die Frauen dazu prügeln das Behandlungszimmer zu putzen. Der Boden war voll Blut und sie baten schon die nächste Patientin herein, ich hoffe, dass es in ihre Köpfe reingegangen ist, ich hoffe es wirklich, von ganzem Herzen. Während die Frauen putzten, kümmerte ich mich um Omars Tochter, Nadria, die von ihrer Mutter mit über 39°C Fieber und der Mitteilung, Omar komme gleich, auf dem Weg zum Markt abgeliefert worden war. Nadria fand das gar nicht lustig und weinte und ich nahm sie auf den Arm und sie schmiegte sich ganz fest an mich und Omar kam natürlich nicht gleich, es dauerte mindestens eine Stunde und der Malariatest war positiv und das Fieber liess sich mit Wickel nicht senken, aber alles kommt gut, Nadria wird gegen Malaria behandelt und hat gegen Abend schon wieder gespielt.

Als wir Richtung Wohnung losfahren wollten, sah ich etwas auf der Strasse, etwas das sich ganz lustig bewegte, fast ein wenig wie eine Kröte, aber irgendwie auch anders, es war auch keine Kröte, es war eine kleine Schildkröte (und erst beim Schreiben merke ich, dass es ja auch eine Kröte ist) die die Strasse überquerte, und schwupps waren wir aus dem Auto gesprungen und haben den Verkehr geregelt und die Schilskröte konnte unbehelligt die Strasse überqueren.

Zum Abschluss des Tages haben Zenabou und ich noch Hybiskusblütensirup, Volere, gemacht, für sie (sie wollte lernen wie man den Sirup macht), für Omar und für mein Abschiedsessen am Donnerstag. Ich habe viele Hybiskusblüten gekauft und will zu Hause auch Sirup machen, wer weiss, vielleicht kommt die Eine oder der Andere von Euch in den Genuss.

Beurre de Karité

Heute waren wir in Bangangté, eine schöne Stadt, die den Preis sauberste Stadt von Kamerun bekommen hat, sie hatte lange eine Bürgermeisterin, die zum Rechten sah, die Bürgermeisterin ist jetzt in Yaounde im Ministerium. Sauber ist die Stadt tatsächlich und vor allem viel weniger vom Verkehr verstopft als alle anderen Orte, die ich kennengelernt habe und es dünkte mich auch, dass die Verkehrsteilnehmer rücksichtsvoller miteinander umgehen, aber vielleicht schien es mir auch nur, weil alles irgendwie übersichtlicher war und vielleicht war es auch der Zeitpunkt, kurz vor Mittag, der mir das Gefühl gab, alles sei ruhiger, freundlicher.

In Bangangté haben wir eine Kooperative mit dreiundzwanzig Frauen, die Beurre de Karité produzieren und vertreiben, besucht. Die Frauen arbeiten alle etwa drei Tage pro Woche in der Manufaktur, daneben betreiben sie noch Landwirtschaft. Die Karité-Nüsse sammeln sie zum Teil selbst, zum Teil kaufen sie sie anderen Sammlerinnen und Sammler ab. Die Nüsse werden in der Manufaktur vom Fruchtfleisch befreit (sieht ähnlich aus wie bei Baumnüssen), getrocknet, geschält, erhitzt, zerdrückt, der Teig, der entsteht wird mit Wasser vermischt und solange geknetet, bis das Fett obenauf schwimmt. Madame Thérèse, die uns empfangen hat, erzählte, dass alle dreiundzwanzig Frauen dank dieser Arbeit ihre Familie ernähren, ihre Kinder zur Schule schicken und ihre Männer unterstützen können. Wir machten einen Grosseinkauf Beurre de Karité, sie ist, laut Madame Thérèse und laut Doktor Google etwas vom besten für die Haut, lässt Falten verschwinden, hält die Haut jung, aber auch zum Essen ist sie gesund, da sie reich an Vitaminen sei und dann hilft sie auch noch bei hundert Krankheiten.

Dann las ich auf dem Plakat der Manufaktur etwas über Kakaobutter und fragte Madame Thérèse, ja, meinte sie, das machen wir auch, Kakaobutter hilft bei zwei Tausen Krankheiten, ich habe gar nicht gewusst, dass es so viele Krankheiten gibt,aber die sei sehr teuer, ein Liter zwanzig Franken, und sie habe keine hier, aber zu Hause habe sie noch einen fünf Liter Kanister, und so fuhren wir zu Madame Thérèse nach Hause. Es war himmlisch! Mitten in der Natur, ein paar kleine Bauernhöfe, Felder mit Mais, Erdnüsschen, Bananen, und, und, extrem viele Bäume und, da wir in einer christlichen Gegend waren, Schweine. Ich kaufte einen halben Liter Kakaobutter und freue mich, irgendetwas daraus zu machen, vielleicht Schoggi?

Der Weg nach Bangangté und dann noch weiter nach Bungwa zum Haus von Madame Thérèse hat sich gelohnt! Auch die Fahrt war sehr schön, immer wieder führt die Strasse über Hügel und Kreten und man hat eine sagenhafte Sicht. Der Wechsel von roter zu schwarzer Erde, von Feldern zu Brousse und Wälder und später Savanne macht aus der anderthalbstündigen Fahrt eine abwechslungsreiche Reise.

Ameisen statt Affen

Ich war endlich im Wald. Ausgerüstet mit Gummistiefeln, einem Stock und Omar als Begleitung bin ich in den Wald gegangen. Die Ameisen waren dort, wie das letzte Mal, nur dass wir diesmal vorsichtiger waren und meine Ohren verschont blieben, einfach nie stehenbleiben, immer weiter gehen, aber sie haben trotzdem gepisst und es hat gebrannt, aber ich habe das Feuer als Kreislaufanregung hingenommen und so war es erträglich. Der Wald ist Dschungel, alles dicht überwachsen, der Boden meist unter Wasser. Omar ging voraus und schlug mit der Machete einen Weg durch das Dickicht, ich tappte hinterher, zog hier und da einen Stiefel voll Wasser aus dem Matsch, tötete hunderte von Ameisen, lauschte den Vögeln und suchte die Bäume nach Affen ab. Es war anstrengend, ich sah keine Affen, der Körper brannte und ich war glücklich. Am Waldrand hatte mir Omar gezeigt wer, wie den Mais frisst, die Igel zerlegen die Blätter rund um den Kolben in kleine Fetchen und die Affen schälen den Kolben wie eine Banane, sie essen nur ganz junge Kolben, solche die noch weiche Maiskörner haben. Weiter zeigte er mir einen Mangobaum, den die Affen gerne besuchen. Aber er stufte die Chance welche zu sehen als sehr gering ein, sie haben grosse Angst vor Menschen und am ehesten bekommt man sie bei Regen zu Gesicht, weil sie anscheinend wissen, dass die Menschen vor dem Regen flüchten.

Dass der Wald derart unter Wasser steht hat nicht nur mit der Regenzeit zu tun, vor ein paar Jahren kam der Staat, ohne das Dorf zu informieren, und fing an den Wald zu roden und den Bach Ndoup umzuleiten, anscheinend um Boden für Reiskulturen zu gewinnen, mitten im Projekt hörten sie wieder auf und wurden nie mehr gesehen. Das Resultat war, dass der Wald mehr denn je unter Wasser stand und das Wasser auf die Felder floss, die Dorfbevölkerung versuchte den Schaden zu begrenzen und dem Ndoup wieder sein altes Bett zurückzugeben, dies gelang, jedoch nur begrenzt.

Nun, ich werde in Afrika gewesen sein und keine Affen gesehen haben, zum Glück gibt es Netflix und Co. so kann ich zu Hause, bequem auf dem Sofa, fern von lästigen pissenden Ameisen, ohne Stiefel voll mit Wasser, Dornen die kratzen, Affen aus nächster Nähe beobachten, wobei die schönsten Naturfilme werden immer von Musik untermalt und die echten Geräusche gehen verloren, so gesehen sind die pissenden Ameisen gar nicht mehr so schlimm, die vielfältigen Töne der Vögel und das Wissen, dass die Affen hier leben, machten den Ausflug zu einem sehr schönen Erlebnis.

Im Centre wiederholen sich Malaria und Typhus, jeden Tag, immer. Die Kinder werden gebracht nach dem ihnen schon grosse Mengen von Tabletten eingflösst wurden, nachdem sie schon seit Wochen fiebrig waren, nachdem niemand mehr weiss was man ihnen sonst noch geben könnte. Sie werden eingepackt in viele Decken, dicke Winterjacken mit hohem Fieber ins Centre gebracht, wenn wir ihnen dann die Decken wegnehmen, die Jacken ausziehen und die kleinen Körper mit kühlem Wasser waschen, werden wir zuerst gehasst, aber dann, wenn die Kinder spüren, dass es ihnen gut tut, dann lassen sie es gerne mit sich geschehen und wenn sie dann noch ein paar Becher Wasser, gierig, getrunken haben, geht es ihnen schon viel besser. Es ist ein wenig zum Verzweifeln. Die Eltern, die ihre Kinder bringen haben wir während unserer Sensibilisierungsbesuchen schon einmal gesehen, wir haben ihnen erklärt warum sie das Trinkwasser abkochen sollen, wir haben ihnen erklärt warum und wann man die Hände waschen soll und dann sitzen sie im Behandlungszimmer und hören unseren Ausführungen zu, wieder als wäre es das erste Mal. Es ist nicht so, dass sie ihre Kinder nicht lieben, sie sind ihnen wichtig, wenn auch vielleicht auf eine andere Art als wir es kennen, es ist eher wie ein Schalter, der auf Off steht und den wir irgendwie nicht finden. Die Kinder werden zwar erzogen, sie sind äusserst freundlich, wissen sich zu benehmen, aber was die lebenspraktische Erziehung anbelangt, die fehlt gänzlich, da sind sie sich selbst überlassen und so trinken sie dann irgendwo Wasser, essen ungewaschene Früchte und waschen mit Sicherheit keine Hände.

Und so kam es, dass ich heute einer Mutter und ihrer Schwester erklärte, dass wenn sie nicht die Verantwortung für die Erziehung der Kinder übernehmen und kleine Kinder sich selbst überlassen, auch die nächste Generation in der gleichen Scheisse stecken wird. Grosse Augen, ein hörbares nach Luft schnappen und dann ein verlegenes Lachen mit der Aussage, da hätte ich wohl recht. Wer weiss, vielleicht lauert der On Schalter in der brutalen Realität. Vielleicht müsste man die Familien jeweils ein paar Tage begleiten und mit ihr neue Abläufe einüben. Wahrscheinlich scheitert Veränderung am inneren Schweinehund, am fehlenden Stupf ins Hinterteil, an der Unfähigkeit sich die veränderte Situation vorzustellen, etwas das ich übrigens auch sehr gut kenne, weiss ich doch von vielem, dass es besser wäre, es anders zu machen, aber es hindert mich in keiner Weise daran, den alten Trott beizubehalten. So gesehen ist es nicht erstaunlich wenn es derart schwierig ist, etwas zu bewegen.

Der letzte Samstag

Ab heute wird jeder Tag der letzte … sein, es geht Schlag auf Schlag und ich fühle mich ein wenig gestresst, saubere Übergabe der Papiere, die ich fürs Centre geschrieben habe, Arbeitsanweisungen, Merkblätter, Leitlinien, Organigramm und was halt so nötig ist, letzte Instruktionen an Omar, Koffer packen, Wohnung putzen, letzte Einkäufe, Hybiskusblütensirup machen mit Zenabou, für sie, für Omar, fürs Centre, letzte Gespräche mit Apolline (der neuen IDE), die, oh Schreck, statt wie geplant am 03.06. erst am 10.06. anfängt, Organisation der Woche ohne Adlerauge Susle, Abschiedsessen oranisieren, der Chef du village hatte doch tatsächlich das Gefühl, dass er die Einladungen macht und seine Namhaften (Google Translater für Notable) einlädt, dem Chef endgültig klar machen, dass es mein Abschied ist und kein offizieller Anlass, noch eine Geburt leiten, und es kommt mir nichts mehr in den Sinn was ich noch muss, das ist gut, die Liste ist lang genug. Es ist Zeit nach Hause zu kommen, Chrigu hat genug vom alleine sein und ich auch, mir bleibt nur noch eine halbe Tafel Schokolade, eine Lindorkugel, ein paar Schoggichäferli, Kaffee und Honig hätte ich noch für länger, aber das Palmöl, das Omars Frau von Hand hergestellt hat (ökologisch und sozial unbedenklich) geht aus, der Reis ist fast gegessen, den letzten Orangensirup von Migros habe ich vorhin getrunken, die Haselnussstängeli sind schon länger verzehrt, die zweite Seife, die ich aus Charlottes Seifenmanufaktur mit auf die Reise genommen habe, wird dünner und dünner, ihr seht, es ist Zeit.

Ananas – bisher hat immer jemand anderes das Ding zerlegt.

Was etwas unangenehm ist, ist die Tatsache, dass ich den Ort nach halber Arbeit verlasse, der Aufbau hat gerade erst begonnen, alles steht noch auf wackligen Füssen, aber ich hoffe, dass ein Fundament da ist, auf dem weiter aufgebaut werden kann. Grundsätzlich sind wir anscheinend sehr gut gestartet, man spricht über uns, der Chef von einem der illegalen Centres in Koutaba kam heute zu einer Besichtigung und war sehr beeindruckt, dass wir schon zwei Geburten gehabt haben, er sagte, sie hätten nach der Eröffnung drei Monate auf die erste Geburt gewartet. Anscheinend ist es nicht normal, dass man von Anfang an Patientinnen und Patienten hat. Das spricht für uns. Trotz dem vielleicht ungünstigen Zeitpunkt für meine Abreise, wie schon gesagt, es ist Zeit.

Fast perfekt.

Im Parterre, ich wohne im ersten Stock, ist ein Fischladen eingezogen, und es stinkt, nach Fisch. Logisch? Nein, das ist nicht logisch wenn der Fisch gefroren ist, oder habt ihr schon erlebt, dass es bei Migros, oder Coop, oder vielleicht Aldi im Tiefkühlregal nach Fisch stinkt? Ich nicht. Angesprochen auf den Gestank, erzählte mir Omar den Weg des Fisches.
Zuerst ist der Fisch im Meer, dann nicht mehr, dann wird er nach Douala gebracht, dort wird er ausgenommen und eingefroren, später wird er in einen Lastwagen geladen, einen ungekühlten Lastwagen, in dem fährt der Fisch nach Bafoussam, er taut auf, in Bafoussam wird er aber sofort wieder eingefroren, aber Bafoussam ist noch nicht Koutaba, der Fisch muss weiter reisen, auf einem Pick-Up, er taut auf, aber angekommen in Koutaba wird er sofort in die Gefriertruhen gelegt, nur bleiben die Deckel offen, sonst sehen die Kundinnen und Kunden vor lauter Deckel den Fisch nicht mehr, und da der Gefrierprozess ohne Deckel etwas länger dauert, hat der Fisch reichlich Zeit zu stinken. Vielleicht wäre es Zeit für eine deftige Schlägerei mit dem Fisch, ich erinnere mich da an ein kleines Dorf in Aremorica, wobei dort konnten sie trotz Schlägereien, den stinkenden Fisch auch nicht vertreiben.

Ultraschall

Und noch einmal Bafoussam. Um sechs Uhr früh sind Fatima und ich losgefahren, mit einem kleinen Bus, achtzehn Sitzplätze und der Chauffeur, zwar eng, aber doch wesentlich komfortabler als in den PW Bussen, ich sass an der Seite und das Blech vom Bus hat sich auf eine Arte bewegt, wie sich Blech in einem Bus, meiner Meinung nach, nicht bewegen sollte, fast als wäre es lebendig, es hat sich an mich geschmiegt, es hat sich der Strasse und mir angepasst, es war etwas unangenehm, ich war mir nicht sicher ob ich auf einmal einfach aus dem Bus falle. Es war eine lange, holprige Fahrt, zwei Stunden brauchten wir für die achtundvierzig Kilometer nach Bafoussam. Dort angekommen stiegen wir um auf ein Mototaxi und das fuhr uns zur Praxis von Doktor Ndame. Dort die grosse Überraschung, angefangen hat es mit dem Schuhwechsel, ja, wir mussten unsere Schuhe ausziehen und ihre Adiletten anziehen, der Boden ist weiss gekachelt und er ist tatsächlich weiss, nicht rot und auch nicht rötlich, eine Person ist angestellt um den Schuhwechsel zu organisieren und zu überwachen, Fatima hat ihre Schuhe zu wenig schön hingestellt und wurde höflich und bestimmt darauf hingewiesen, drinnen ein freundlicher Herr, der das Carnet in Empfang nahm und uns zeigte wo wir warten können, alles blitzblank, die Bodenplatten mit gleichmässigen Fugen verlegt, die Wände sauber, weiss gestrichen, ich war nicht mehr ganz sicher ob wir noch in Kamerun sind.

Und keine zehn Minuten später waren wir schon im Ultraschall. Und auch dort, alles schön sauber, sehr freundlich und die Resultate eins A, wobei dafür kann die Praxis nichts, dem Kind geht es gut, alles ist normal, der Bauch ist etwas kleiner weil die Schwangere halt noch sehr jung und straff ist. Und dann die ganze Reise in die andere Richtung und im zweiten Bus war das Blech auch lebendig und der Chauffeur fuhr wie ein Henker, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne geringste Scheu vor den Schlaglöchern und das Blech wurde sehr lebendig. Aber wir kamen heil in Ngoundoup an.

Fatima hatte Angst, nicht dass mit ihrem Kind etwas nicht gut sein könnte, sie hatte Angst, dass der Ultraschall schmerzt. Das mit dem Kind ist für sie noch sehr abstrakt, es ist einfach, aber sie hat null Vorstellung wie es sein könnte, was es heisst. Hier haben die angestellten Frauen zwei Wochen Urlaub nach einer Geburt, Fatima findet das viel zu lange, sie will nach zwei Tagen wieder arbeiten. Und so haben wir unsere gemeinsame Zeit genutzt, über Verantwortung geredet, über Zukunft, über den Kindsvater, mit dem sie seit vier Jahren zusammen ist und der im Moment das Lycée abschliesst, über ihre Eltern, über Erziehung und über Verhütung. Das Stäbchen heisst hier übrigens Familienplanung, das führte zwischen Fatima und mir zu Verwirrung, ich wollte ihr das Stäbchen empfehlen und sie fragte die ganze Zeit, du meinst Familienplanung? und ich, ja das Stäbchen ist Familienplanung, aber es gibt noch… bis ich dann endlich begriffen habe, es hat gedauert. Ich hoffe innig, dass sie das Kind grosszieht, erzieht, zur Schule schickt, ihm etwas auf den Weg mitgibt, ich hoffe, dass es nicht ein weiteres Kind wird, das einfach da ist.

Im Centre muss ich vor meiner Abreise noch alles für eine Neuorganisation aufgleisen, das ist äusserst knapp und sehr ermüdend. Aber ich glaube, dass es klappen kann. Appoline, die eine IDE wird am 03. Juni anfangen und Awa, die andere IDE Anfang Juli. Wir sind zum Schluss gekommen, dass es am sinnvollsten ist, wenn die zwei IDE’s das Centre co-leiten. Die IDE muss in einem Centre immer auf Abruf bereit sein, sie ist die Verantwortliche. Mit einer Co-Leitung können sie diese Verantwortung teilen und Beide haben auch mal frei. Für die weiteren Leitungsaufgaben, werden Ressorts definiert, die sie untereinander aufteilen. Mit einer Co-Leitung haben wir auch eine bessere Kontrolle über die Weiterführung der Philosophie, für alle strategischen Entscheidungen müssen sie zusammen mit Omar einen Konsens finden. Assana wird in Zukunft als normale Mitarbeiterin arbeiten und ich glaube, sie ist nicht sehr traurig, sie ist überfordert und merkt das langsam auch.

IPad liegt im Centre

Ihr werdet wohl verstehen, dass es etwas mühsam ist auf dem Handy zu schreiben. Genau das muss ich heute. Ich habe nämlich das IPad im Centre liegen lassen. Dabei wollte ich einiges erzählen. Wir waren in Bafoussam auf dem Markt, wir brauchten Stoff um Kompressen zu machen und ich war begeistert, dort findet man wirklich alles! Der Markt ist riesig und auf verschiedenen Etagen. Omar wollte mich direkt zu den Stoffen führen, aber die Stoffe waren nicht dort, sie sind umgezogen und wir versuchten hinterher zu ziehen, durch enge Gassen, Treppen rauf, über Abwasserkanäle, Treppen wieder runter, durch die ekligste Metzgergasse, voll von Böhköpfen, Schweineköpfen, Schafsköpfen, Füssen, Schwänzen, Hörnern und viel undefinierbarem, durch Gewürzgassen, Kleiderstrassen, fast alles Secondhand, an Schuhständen entlang, auch Secondhand und irgendwann kamen wir zu den Stoffen.

Ich habe zwei weisse Frauen gesehen und hätte sie am liebsten berührt, seit Wochen die ersten Weissen, ausser der im Spiegel. Das war ein komisches Gefühl!

Morgen fahre ich schon wieder nach Bafoussam, mit unserer Praktikantin, ich begleite sie zum Ultraschall, sie hat Malaria und kaum noch Blut und das Ungeborene ist für sein Alter zu klein. Es ist schlimm,wenn Kinder schon schwanger sind und das noch dazu mit Komplikationen. Um sechs Uhr in der Früh fahren wir mit dem Bus zum Ultraschall, hässlich!

Alles Weitere erzähle ich, wenn ich wieder mit Tastatur schreiben kann, dann kann ich mich mehr auf den Inhalt konzentrieren, im Moment schlage ich mich mit den einzelnen Wörtern rum, das ist ätzend!

Omars Entwicklung

Langsam kennt ihr den Rhythmus von Koutaba auch, also was heisst Mittwoch? Genau, Mittwoch heisst, es ist der Tag der toten, getrockneten, flachen Ratten und ja, ich habe einen Satz genommen, nein, ich bin nicht in der Pfütze gelandet. Ich sehe es schon, das verständnisvolle Lächeln, lassen wir sie erzählen, immer wieder, was können wir machen, sie glaubt den Mist, wahrscheinlich sieht sie mittlerweile tatsächlich tote, getrocknete, flache Ratten, so drei Monate Afrika gehen halt nicht spurlos an ihr vorbei…

Aber Leute, jetzt kann ich es beweisen. Omar war mit mir auf dem Markt und er hat sie für mich fotografiert:

Tote, getrocknete, flache Ratten und darunter das Wundermittel.

Omar, er erzählte mir heute zwei schöne Episoden aus seinem Leben. Wir hatten darüber diskutiert was es braucht um initiativ durchs Leben zu gehen. Omar war sechzehn, als er einen Verein zur Förderung der Schule gründete. Er fand es wichtig, dass alle Kinder in die Schule gehen. Er lud alle Eltern von Ngoundoup zu einer Versammlung ein. Und sie sind erschienen und Omar sah die vielen Erwachsenen vor sich und kam sich jung und dumm vor und hatte Angst. Aber er begrüsste die Eltern, er entschuldigte sich für seine Jugend, dafür, dass er den Erwachsenen, den Respektpersonen ins Gewissen reden wollte und die Leute beruhigten ihn und sagten, er solle sprechen, sie wollen gerne zuhören. Und so kam es, dass seither vor allem auch viel mehr Mädchen die Schule besuchen und hinterher eine Ausbildung machen können. Um die Grösse und den Mut dieses Einsatzes für Schulbildung zu sehen, braucht es noch eine weitere Geschichte. Ein Jahr später, Omar verdiente Geld indem er im Wald Bambus schlug und aus den Fasern Körbe flocht und diese verkaufte, brauchte er neue Turnschuhe für die Schule. Er hatte gehört, dass in Bafoussam Occasionturnschuhe aus Europa verkauft werden und weil die qualitativ besser sind, war sein Ziel, nach Bafoussam zu reisen und solche Turnschuhe zu kaufen. Es war seine erste Reise so weit weg (ca. 50km) von Ngoundoup. Er liess sich erklären, wie er dort hin kommt und wo er die Turnschuhe findet. Er wusste, dass er in Bafoussam vom Busstopp zuerst gerade aus weiter gehen muss und dann rechts, genau so hat er es gemacht, er hat nicht rechts, nicht links geschaut, ist einfach schnurstracks auf sein Ziel zugegangen, fand die Stände mit den Turnschuhen, wählte ein Paar aus, kaufte es, ging direkt wieder zum Busstopp zurück und reiste nach Hause. Dort wurde er von seinen Freunden erwartet, sie hatten Angst um ihn, dachten er werde belästigt oder gar ausgeraubt. Darauf wollten alle solche Turnschuhe und sie fanden, dass Omar, da er jetzt weiss wie es geht, diese holen soll, aber Omar fand, dass sie so nicht lernen sich zu bewegen und bot an, sie zu begleiten.

Morgennebel über dem Wald … dem der voll Wasser ist … dem den ich gerne besucht hätte…

Im Centre haben wir einen weiteren Tag Alltag geübt. Seit heute macht es mir wesentlich weniger Angst, die Frauen alleine zu lassen. Appoline, eine IDE, wird ab Ende Monat voraussichtlich im Mbambeluh arbeiten. Sie war heute im Centre um etwas zu schnuppern. Sie ist kompetent und bereit unsere Philosophie zu unterstützen und nach ihr zu arbeiten. Es ist zwar schade, dass sie erst anfängt wenn ich gehe, aber bis dahin kommt sie noch ein paar Mal schnuppern und es bleibt uns doch noch Zeit vieles zu besprechen. Sie ist sehr offen und ich habe ein gutes Gefühl, sie wird dem Centre gut tun, ausserdem ist sie keine Muslimin, was für die Mischung des Personals positiv ist. Wenigstens eine, die keinen Ramadam machen muss, denn die Ramadam-Frauen sind im Moment noch träger als sie sowieso schon sind. Assana läuft nur noch wie eine Leiche durch die Gegend und die Kranken werden durch ihren Anblick und durch ihr leidendes Sprechen sofort noch viel kranker. Ich plädiere dafür, dass der Ramadan nur noch im Winter in Island stattfinden darf.