Eigentlich könnte jetzt wieder eine Gebärende kommen. Ich bin wieder fit, habe gut geschlafen und bin bereit es mit Wehen, Gebärenden, Müttern und Schwiegermüttern aufzunehmen. Aber nach Mbambeluh 1 und Mbambeluh 2 ist es ruhig geworden und Malaria und Typhus regieren wieder.
Typhus könnte in den allermeisten Fällen mit einer angemessenen Hygiene verhindert werden. Mittlerweilen spreche ich dieses Thema nicht mehr mit höflichem Feingefühl an, sondern sage direkt was Sache ist. Ich weiss, dass die Menschen hier arm sind, ich weiss, dass es bei uns viel einfacher ist hygienisch zu leben, aber ich weiss auch, dass es hier möglich ist. Während bei den Bororos alles blitz blank ist, so sauber, dass man direkt vom Boden essen könnte, vergeht einem in einigen Quartieren von Ngoundoup und Koutaba sogar der Wunsch die Füsse auf den Boden zu setzen. Das heisst, direkt vor den Häusern ist es noch einigermassen sauber, aber hinter dem Haus konkurrieren Müll und Fäkalien um den Platz. Eine Latrine zu bauen lernt man bei uns in der Pfadi, im Militär und sicher auch im Überlebenscamp, und auch wenn man nie in Zweierkollone eine gebaut hat, es ist ganz einfach, auch die Müllentsorgung, es wird ein grosses Loch gegraben, der Müll kommt dort rein und wird verbrannt, sollte eigentlich machbar sein, jedes Quartier hat so ein Loch, aber der Müll findet den Weg dorthin nicht alleine. Warum die grossen Unterschiede? Eine mögliche Erklärung fand ich in der Rollenverteilung. Bei den Bororos sind die Frauen zuständig für Haus, Hof und Nachwuchs und die Männer für Vieh und Äcker. Bei den anderen Volksgruppen sind die Frauen zuständig für Haus, Hof, Nachwuchs, Äcker, Markt, Schulgeld, Arztkosten und die Männer fürs Kindermachen und Beten. Das war jetzt ein wenig gemein, aber es kommt der Realität nahe.
Ich stelle mir vor, dass Hygiene schnell zweitrangig wird, wenn du von sehr früh bis sehr spät schuftest um alle Aufgaben zu bewältigen. Wahrscheinlich ist die Art wie die Frauen unseren Sensibilisierungsanstrengungen lauschen eine Reaktion auf ihre Situation, nur nicht zugeben, dass ich diese Leier schon hundert Mal gehört habe, wenn ich so tue, als ob ich alles zum ersten Mal höre, kann mir niemand einen Vorwurf machen, weil erst jetzt kenne ich den Zusammenhang, ich kann also erst jetzt reagieren.
Mit den Frauen über ihre Situation und Überforderung zu diskutieren, hilft ihnen zwar, ihren Frust loszuwerden, aber verändert überhaupt nichts, sie glauben, dass ihre Situation unabänderlich ist, dass es schon immer so war, dass die Tradition in Stein gemeisselt ist. So bleibt mir Omar. Als Mann kann er Einfluss auf die Männer nehmen, ihnen klar machen, dass für eine angemessene Hygiene alle zuständig sind und somit alle mithelfen müssen. Omar ist zum Beispiel bei sich zu Hause zuständig fürs Wasser, insbesondere Trinkwasser, für die Latrine, für den Müll und fürs Händewaschen. Es ist immer schön wenn ich mit Omar diskutiere, er ist sehr offen und will dass sich ihre Situation zum Besseren wendet. Er kommt zwar auch ab und zu mit Tradition, aber er schafft es, zu unterscheiden zwischen Traditionen, die zum Kulturgut gehören und Traditionen, die man eigentlich von heute auf morgen aufgeben könnte.
Auch die Polygamie ist so ein leidiges Thema. Heute kam eine Frau mit Unterleibsschmerzen. Sie hatte eine zünftige Vaginalentzündung mit ziemlich allen bekannten und unbekannten Erregern. Um diese Entzündung zu behandeln, muss ihr Mann mitbehandelt werden. Zum Glück war ich so geistesgegenwärtig zu fragen ob ihr Mann monogam ist, ist er nicht, das heisst, auch die zweite Frau muss behandelt werden. Ich finde die Polygamie per se zum Kotzen, aber heute gesellte sich eine neue, gruslige Erkenntnis dazu. Für die Frauen hier, ist das Alltag, erst mit vier Frauen ist ein Mann ein Mann. Und schon haben fünf Chlamidien, Syphilis, Gonorrhö und Kompanie.
Und es hat geschifft heute, so richtig! Eine Zeit in der keine Patientinnen, keine Patienten kamen, eine Zeit in der wir alle zusammengerutscht sind, da es arschkalt wurde, eine Zeit in der wir nicht reingehen konnten, da wir drinnen giftige Spinnen vergiften mussten, eine Zeit in der zwei Frauen arabische Gebete geübt haben, eine Zeit die vorüber ging.