Im Bett

Zuerst sollte die Überschrift Durchfall heissen, aber das tönt schon etwas schräg und gruselig. Die letzte Nacht verbrachte ich zu einem nicht geringen Teil auf der Toilette. Am Morgen ging ich dann trotzdem ins Centre, wollte nach meinem Kribiurlaub die Frauen begrüssen. Sie freuten sich, mich wieder zu sehen, aber ich konnte es nicht wirklich geniessen, verbrachte mehr Zeit auf der Toilette als nicht. Zu Dritt gingen sie los und holten Guaveblätter, das sei gut bei Durchfall. Die musste ich kauen (scheusslich!) und mit Salzwasser runterspülen. Ich habe noch von den Blättern, kann mich jedoch nicht überwinden sie zu kauen.

Vor etwa zwei Stunden kochte ich Reis und ass ihn. Jetzt habe ich Bauchschmerzen, aber war nicht mehr auf dem Klo. Mal schauen. Wahrscheinlich steckte ich mich bei Hugo und Lily an, die hatten nämlich beide auch Durchfall.

So habe ich fast den ganzen Tag im Bett verbracht und gelesen, das war der schöne Teil vom Kranksein. Jetzt sitze ich auf der Terasse, lasse meinen überhitzten Körper von der leichten Brise abkühlen, fülle meine Lungen mit Abgasen und meine Ohren mit Menschen- und Verkehrslärm. Es ist Mittwoch, Markttag, aber ich bleibe zu Hause. Ausserdem hat das Kochen und die Zubereitung von Trinkwasser meine gesammte Energie aufgebraucht.

Am Donnerstag ist in Ngoundoup ein Imam gestorben. Er war erst fünfzig. Etwas ist in seinem Hals gewachsen, das ihm am Mittwoch heraus operiert wurde, leider schlecht, er ist verblutet. Am Freitag war die Beerdigung und gestern die Abdankung, das ganze Dorf stand still, kein Kind ist in der KiTa erschienen. Nur Abdullah musste arbeiten. Erst auf der Rückreise habe ich erfahren, dass der Imam nicht nur sein Onkel war, sondern auch sein Ziehvater, Abdullahs Vater ist gestorben als er noch klein war. Das tat mir furchtbar leid, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir eine andere Reisemöglichkeit nach Kribi gesucht. Abdullah sagte, wir hatten die Reise schon geplant und du bist für uns wichtig. In solchen Momenten komme ich mir ein wenig wie eine Hochstaplerin vor, vielleicht ist das das falsche Wort, aber auf jeden Fall habe ich dann das Gefühl etwas zu sein, das ich gar nicht bin.
Auf jeden Fall war Abdullah froh, als er bei unserer Ankunft sah, dass noch nicht alle Trauergäste gegangen sind und ich war auch froh.

Zurück

Ich bin wieder in Koutaba. Auch die Rückreise war sehr sehr lang. Wir wurden kontrolliert und kontrolliert und immer weiter so. In gelben Westen stehen sie auf der Strasse und kontrollieren (nicht zu verwechseln mit den allbekannten Gelbwesten in Frankreich). Sie kontrollieren im Namen der Verkehrssicherheit. Sie kontrollieren die Papiere, das Reserverad, die erste Hilfebox. Sie kontrollieren nicht die Geschwindigkeit, nicht Aufhocken, nicht Überholen bei Gegenverkehr, nicht mit achzig durch ein Dorf brettern, nicht telefonieren und SMS schreiben. Wenn etwas fehlt, dann bezahlst du und fährst weiter, ohne Quittung.

Gestern ist ein Bus bei einem Überholmanöver verunfallt (es hatte dummerweise Gegenverkehr, aber wie soll man das auch wissen, wenn man nicht um die Kurve sieht?), zehn Tote. Eine Seite des Busses war weg, wir sind heute an ihm vorbei gefahren. Am Strassenrand liegen Autos und Lastwagen im Strassengraben und alle paar Kilometer fährst du in eine ver… Sicherheitskontrolle und alle wollen Geld, selbstverständlich ohne Quittung und wenn du nicht mithilfst, nehmen sie dich und dein Gefährt einfach auseinander. Aber ich bin nicht bereit zu bezahlen. Ich habe erklärt, dass ich hier bin für ein humanitäres Projekt und dass ich keine Lust auf solche Geschichten habe. Und es hat geholfen! Wir haben nicht bezahlt.

Wie bekommt man in Kamerun einen Führerschein? Es gibt zwei Wege, für beide brauchst du einen Strafregisterauszug, dann kannst du entweder 60’000CFA bezahlen und bekommst den Ausweis, oder du gehst in die Fahrstunden und bezahlst nur 50’000CFA, wobei du die Fahrstunden auch noch bezahlen musst. Abdullah, mein Kribi Chauffeur kennt niemand, der Fahrstunden genommen hat.

Abdullah

Gestern waren wir bei den Lobé Wasserfällen. Die sind in der Nähe von Kribi, Wasserfälle direkt ins Meer. Der Ort ist sehr schön, ein wenig Robinson, Bounty artig. Der Fluss hat zwei Seiten (ho, ho, ich weiss, dass ihr das wisst), wir haben auf der näher bei Kribi liegenden Seite parkiert, wollten mit der Piroge übersetzen. Sofort waren wir umringt von Guides, Crevettenverkäufern, Souvenierverkäufern, Kokosnüsseverkäufern, alle hoch aggressiv, sehr aufdringlich, grenzüberschreitend. Nach knallharten Verhandlungen konnten wir mit der Piroge übersetzen. Abdullah war noch nie in einer Piroge oder sonst irgenwie auf dem Wasser, er sass auf seiner Bank und hatte das Gesicht eines Menschen, der mit seinem Leben abschliesst. Aber, wir kamen heil und trocken rüber. Auf der anderen Flussseite ist das Reich einer Frau, die dort ein kleines Paradies aufgebaut hat. Viele Bäume, Hängematten, Tische und Stühle laden zum Verweilen ein. Keine aggressiven Händler und Guides, nur Ruhe und Sand, Strand und Meer.

Lily

Es war schön, die drei Tage mit Lily, Hugo und Nérisa. Wir waren jeden Tag am Strand, haben gebadet und dem Treiben um uns zu geschaut. Hugo war erst gestern im Wasser, die vorherigen zwei Tage hat er sich nicht getraut. Und gestern wollte er nicht mehr raus aus dem Wasser. Das Meer ist fast dreissig Grad warm und es gibt grosse Wellen,die einen dauernd in Bewegung halten, innert kürzester Zeit beginnt man zu schwitzen, nix abkühlen.

Hugo

Kribi und Koutaba sind zwei verschiedene Welten. Koutaba ist eine Gemeinde mit vielen Kleinbauern, Kribi ist Touristenort. In Kribi geht es ums Geld, immer ums Geld. Das ist zeitweise sehr anstrengend.

Nérisa

Ich wurde richtig verwöhnt die drei Tage, es ging vor allem um mich. Das war ehrlich gesagt noch schön. Ich habe es genossen! Ja und morgen geht es hier weiter, in Koutaba und ich freue mich, dass wir unserem Ziel jeden Tag einen Schritt näher kommen. Die IDE Awa, liegt im Endspurt mit ihren Papieren und trotz unendlicher Bürokratie besteht die Chance, dass wir bald soweit sind.

Kribi

Ich sitze am Tisch vor dem Haus in Kribi und schwitze wie ein Schwein. Es ist heiss! Wir haben Fisch gegessen, mit grüner Sauce und Batons (Maniok im Wasser gelassen und dann in ein Bananenblatt gerollt), Dävu kann euch ein Lied davon singen, aber ich habe sie gern, mit Sauce.

Die Reise war laaaang! Zuerst über die Berge, das war schön, dann durch Douala, das hat gestaut, dann weiter bis wir das Meer gesehen haben! Und ich war noch nicht drinn.

Jetzt bin ich bei Lily, Hugo und Nérisa und es ist schön! Lily sitz auf meinem Schoss und leuchtet mit der Taschenlampe damit ich die Buchstaben sehe. Merci Lily.

Es ist sehr ruhig hier, man hört nur uns und die Grillen. Hugo liegt schon im Bett und schläft, ich werde bald zu ihm gehen.

Ich habe alle Grüsse ausgerichtet, glaube ich, und wünsche eine gute Nacht.

Orange

Keine Angst, dies wird kein Werbeschreiben. Aber ja, es geht nicht um die Farbe, ja es geht um den Anbieter (die Anbieterin?) von Telekommunikation und Internet. Vor allem das Internet ist meine Brücke nach Hause, zu euch. Orange hat mir aber meine Simkarten gesperrt und ich wusste nicht warum. In Koutaba findet man alle zwanzig Meter einen Stand mit Simkarten, Guthabenkarten, keiner wusste warum meine Karten gesperrt sind. Die Email Adresse von Orange Support existiert nicht. Auch nach mehrmaligem senden, Adresse auf der Webseite studieren, vergleichen, sie blieb immer gleich, existierte immer noch nicht. Dann halt Hotline, nach Diversen, drücken sie die Taste 1,2,3,4, oder so, ein netter Herr, schlechter Empfang, aber ich durfte endlich mein Problem erfahren. Ich muss in einen Shop mit meinem Pass und mich verifizieren.

Heute sind wir 55 Kilometer, nach Bafoussam, zum Orange Shop gefahren. Vor dem Shop steht ein Zelt, das sassen etwa fünfzig Personen. Um in den Shop zu kommen, wurden wir mit einem Metalldetektor abgesucht, er hat gepiept und gepiept, ohne Konsequenzen. Dann war ich drinn. Warten. Leute kamen rein, wurden bedient. Warten. Endlich kommt ein wichtig aussehender Typ, will meine Handynummer und meinen Pass. Er tippt auf einem Handy herum. Warten. Ich werde aufgerufen, die Dame will meinen Pass, geht ihn kopieren, kommt zurück. Vorne auf die Kopie soll ich meine Handynummern schreiben und dreimal unterschreiben, häääh? Ich tus. Hinten soll ich einen Plan zeichnen, vom Ort wo ich wohne. Hilfe! Omar komm, zeichne, bitte! Omar zeichnet. Die Strasse, das Militäscamp, Koutaba Teyandi. Der Plan wird angenommen. Glück gehabt. Nun sollen wir raus, zur Verifizierung. Hääh? Draussen sitzt eine Dame unter dem einen Zelt und immer noch gegen fünfzig Leute in Reihen unter dem anderen Zelt. Zuerst hatte ich gedacht, die warten vielleicht auf einen Gottesdienst. Es war etwas ähnliches, Verifizierung. Warten? Zum ersten Mal seit ich hier bin, hat mir mein exotisches Aussehen geholfen. Ich wurde sofort verifiziert, der Auslöser für grossen Protest unter den Wartenden. Ich verstehe sie, aber ehrlich, ich war zu fest froh, dass ich nicht noch einmal Warten musste, dass ich mich dort unter dem Zelt nicht in die hinterste Reihe stellen musste, dass ich einfach verifiziert wurde. Die Frau unter dem kleineren Zelt fotografierte meinen Pass, den Plan wo ich wohne, für jede Nummer einmal und ich musste mit dem Finger auf ihrem Smartphone unterschreiben. Und jetzt? Warten. In etwa achtundvierzig Stunden sind meine Karten wieder aufgeschaltet. Nun soll ich den Service benoten. Der Service, das heisst die Menschen dort, haben ihre Arbeit gut gemacht. Aber der Ablauf, komplizierter geht nimmer. Und das ist hier überall so, du kannst nichts in einem Wisch erledigen, es sind immer mehrere Stationen und viel, viel Warten.

Zurück im Centre, war ich nur noch müde. Nach Orange waren wir noch auf der Bank. Was man da macht? Warten. Wir mussten Geld von einem Konto auf das Andere überweisen. Wie das geht? Zuerst hebst du das Geld ab. Du hast es in deiner Hand. Dann zahlst du das Geld wieder ein. Simpel, oder?

Jetzt sitze ich im Dunkeln. Seit ich zu Hause bin hat es keinen Strom, kein Wasser. Ein Sturm fegte durch Koutaba, die Luft war rot. Dann kam der Regen. Jetzt ist alles sauber, kühl und rein.

Morgen um sechs fahre ich los, Richtung Kribi. Es kann sein, dass ihr euch bis zu meiner Rückkehr gedulden müsst, vielleicht mache ich Blogferien. Ich weiss es noch nicht.

Viecher

Irgendwie sind hier die Viecher die kriechen und fliegen grösser. Ich springe schon mal auf vor Schreck, wenn sich so ein Viech nähert. Aber wenn ich mir dann Zeit nehme, sie genauer zu betrachten, sind sie unglaublich, äusserst glatt, oder samten, mit Glanz, perfekt gezeichnet, skurril oder einfach so wie sie sein sollten. Und viele sind gar nicht hässlich.

Dass ich die Viecher immer fotografiere, hat auch Rafiatou gemerkt. Nun zeigt sie mir jedes, das sie sieht und ich lerne mehr von diesen übergrossen Flieg- und Kriechviechern kennen als mir lieb ist. Es hat viele. Es ist ein sehr fruchtbares Land hier, in jeder Hinsicht.

Das Viech oben ist etwa so gross wie mein Handteller, auf jeden Fall gefühlt. Dass, das Land fruchtbar ist, merkten wir auch an der Menge der hungrigen Kinder, die uns besucht haben. Einige kommen wie es sich gehört, am Morgen und bleiben bis nach dem Mittag, andere kommen, wenn sie das Essen, das wir für sie zubereiten, riechen. Sie bringen dann auch nichts mit, das wir für sie kochen könnten. Sie kommen mit leerem Magen und grossem Appetit. Wir haben uns heute überlegt, was wir mit diesen Kindern machen sollen, sie kommen alleine, ohne ihre Mütter oder sie werden von grösseren Geschwistern gebracht. Was macht man mit drei bis sechs jährigen, hungrigen Kindern? Soll man sie wegschicken? Sollen sie den Kindern, deren Mutter eine Hand voll Reis mitgegeben hat, beim Essen zuschauen? Wir wissen, dass zu Hause niemand ist, der für die Kinder Mittagessen kocht, wir wissen, dass es die grösseren Geschwister sind (ab sechs Jahren aufwärts), die sich um ihre kleinen Schwestern und Brüder kümmern und die schauen, dass wenigstens die kleinen etwas zu Essen bekommen. Wir haben uns entschieden, dass wir die Kinder, solange unsere Pfannen gross genug sind nicht wegschicken. Wir werden jedoch mit den Müttern, denen, die wir antreffen, sprechen, ihnen unsere Regeln erklären, immer und immer wieder.

Das ist Freschnell (wahrscheinlich schreibt man den Namen anders).

Freschnells Mutter, Zenabou arbeitet im Nähatelier. Es ist ein Verein von Frauen, die das Nähen lernen wollen. Zenbou lehrt die jungen Frauen an. Diese Arbeit macht sie ohne Lohn. Daneben versucht sie mit Privataufträgen ihr Leben zu verdienen. Sie ist geschieden und alleinerziehend. Sie hat zwei Kinder. Freschnell kommt jeden Tag in die KiTa. Meist kann sie nichts mitbringen, ihre Mutter ist schon weg, wenn sie sich zusammen mit den anderen Kindern auf den Weg macht. Ich kenne Zenabou gut genug, um zu wissen, dass sie etwas mitgeben würde, wenn sie etwas hätte. Und so sieht es wahrscheinlich bei vielen Familien aus.

Und so kaufe ich oft das Essen ein. Für etwa drei Franken kochen wir dann für etwa dreissig Personen ein Mittagessen. Das ist irgendwie schon verrückt. Und wenn du dann siehst, wie die Kinder essen und dabei sehr zufrieden sind, dann kannst du sie sowieso nicht wegschicken.

Am Freitag fahre ich nach Kribi. Nérisa und die Kinder werden kommen. Ich freue mich Lily und Hugo zu sehen, drei Tage am Strand zu verbringen und mit ihnen zu Baden. Es wird eine lange Reise werden und es wird viel, viel heisser sein in Kribi. Aber dafür ist dort das Meer, ich kann baden, baden, baden. Es ist übrigens fast wie im Thermalbad, kein brrrr…

Wieder ein Tag

„Nur“ vierundzwanzig Kinder. Ein Mädchen, Sheriffa, hatte hohes Fieber, es kam mit den anderen Kindern. Seine Mutter war schon auf dem Feld. Sie konnte sich kaum noch auf den Füssen halten, alle waren überzeugt, dass das Kind, sobald die Mutter zurück ist, ins Spital muss und eine Antibiotika-Infusion braucht, alle ausser ich. Kinder haben ab und zu hohes Fieber, wir müssen Sheriffa ausziehen, kühle Wickel machen, schauen dass das Fieber nicht steigt, schauen dass sie trinkt. Ich habe sie ausgezogen, ihr das Fieber gemessen (39°C) und sie mit kühlen Tüchern gewaschen. Ich habe ihr „ds Vreneli vom Guggisbärg“ gesungen, sie gehalten, ihr Wasser und Bouillon eingeflösst, wieder Fieber gemessen, wieder kühl gewaschen, wieder zu Trinken gegeben, sie gehalten, gesungen…

Sheriffa

Jedesmal, wenn ich mit dem Fiebermesser kam, glaubte Sheriffa, es sei eine Spritze und fing wie am Spiess an zu schreien. Gegen Mittag fing das Mädchen an zu schwitzen und das Fieber sank. Uff… ich weiss nicht, ob ihr die Situation kennt, ihr seit euch eigentlich sicher in eurem Tun, aber die geballte Überzeugung, dass alles anders ist, dass alles viel schlimmer ist, die euch entgegenkommt, verunsichert, macht Angst. Und wenn ich nicht recht habe? Wenn das Kind tatsächlich etwas ganz schlimmes hat? Deshalb uff, ich war so froh, dass ich richtig reagiert habe. Sheriffa ass von den Teigwaren mit Bolo-Sauce, die ich gekocht hatte und ging dann, zwar immer noch krank, aber doch schon auf dem aufsteigenden Ast, nach Hause.

Dieser Medikamentenglaube, der treibt mich noch… ich weiss auch nicht genau wohin. Yvette hat es mir etwas erklärt. Jahrelang hat man den Leuten hier gepredigt, dass sie sich nicht von ihren Heilern behandeln lassen sollen, dass die Schulmedizin der einzige richtige Weg sei und dass Antibiotikum das Allerheilmittel schlechthin ist. Wenn du dann auf die Idee kommst zu Hausmitteln zu greifen, reagieren die Menschen mit Entsetzen. Dass es noch einen Weg zwischen Krankheitsbeschwörung und Schulmedizin gibt, dass es Hausmmittel gibt, die durchaus sinnvoll sind, heisst, die ganze bisherige Erziehung wieder auf den Kopf zu stellen und von vorne zu beginnen.

Etwas was mich sehr beschäftigt, ist die Reflexion, die Fähigkeit, etwas aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ich glaube (nicht zu verwechseln mit, ich weiss), dass Bildung hier einen zentralen Faktor spielt. Und zwar die Bildung, die das selber Denken unterstützt, nicht die Bildung, die schon für alles und jedes eine Lösung bereit hat. Hier, heisst Bildung das Vorbeten von Weisheiten, die sich irgendwer ausgedacht hat und die niemand hinterfragt. Das übrigens nicht nur bei den Kindern, auch bei den Erwachsenen. Zum Beispiel an den Impftagen, da sitzen die Mütter auf ihren Bänken und Fragen fliegen ihnen entgegen, die sie dann im Chor beantworten müssen. Lauter, noch lauter, ich habe euch nicht gehört. Es ist irgendwie überall gleich, in der Schule, im Militär, in der Kirche, in der Moschee, im Gesundheitszentrum und wahrscheinlich überall wo eine Überzeugung weiter gegeben wird. Zum Glück bin ich flexibler, so kann ich immer wieder versuchen, etwas aus verschiedenen Winkeln zu beleuchten. Wenn Antibiotika-Resistenzen nicht helfen, dann vielleicht die Stärkung des Immunsystems, weniger Gift im Körper, günstigere Behandlungen, und so weiter.

Das ist Caisa, auf meinem Rücken.

Rafiatou, die Mutter von Caisa war heute auf Hausbesuch, ich habe mich um ihre Tochter gekümmert. Als ich mit Caisa am Rücken weiter gearbeitet habe, ging es nicht lange, bis die Mädchen ihre Stofftiere auf den Rücken banden. Und he, die haben das genau so gemacht wie ihre Mütter! Also auch die Art, wie sie die Stofftiere nach hinten gebracht haben, nicht einfach irgendwie, nein, richtig.

Ich hoffe für die Mädchen, dass das Leben für sie, noch mehr als Kinder auf dem Rücken zu tragen, bereithält.

Omar

Wir üben. Wir üben eine offene, allesumfassende Kommunikation. Es ist nicht einfach. Er gibt sich Mühe und er hat Mühe. Also, nach dem ich leide, nach dem ich mir dies und das und noch vieles mehr überlege, nachdem die Nerven zwischendurch blank liegen, erzählt er mir heute, dass er (letzte Woche) mit dem Chef du District de la Santé telefoniert habe und dieser gesagt habe, wir sollen einfach das komplette Dossier einreichen, dann komme es gut. Diese Info bekam ich, nachdem ich den Vorschlag gemacht habe, dass wir vor dem Sultan, der ein Geschenk erwartet, zuerst zum Präfekt vom Departement Noun gehen sollten (Tipp von Madame Yvette). Nicht, dass ich nicht erfreut bin über die Nachricht, aber Omar, warum sagst du das nicht gleich? Das sei schliesslich nicht offiziell, meint er. Soviel zum Thema, alle haben die gleichen Informationen. Omar gibt sich sehr Mühe, wie schon gesagt, aber es ist noch ein langer Weg bis er, einfach so, alle Informationen preisgibt. Ich glaube, er will mir keine falschen Hoffnungen machen. Aber Schritt für Schritt kommen wir einer transparenten Kommunikation näher. Der gute Chef du District de la Santé ist übrigens, anscheinend von irgendwoher unter Druck gesetzt worden und hat gemerkt, dass er ein sehr schlechtes Zeichen setzt, wenn er weiter bockt.

Ich habe heute mit Omar über Nutz-Haustiere gesprochen. Er hatte einmal ein Huhn. Alle fanden er soll es essen, aber er erklärte, das Huhn hat einen Namen und gehört zur Familie. Leider wurde es von einer Seuche heimgesucht und starb. Ich fragte ihn, ob er eine Kuh besitzt, weil er liebt Käse. Nein. Eine Kuh ist jedoch sehr teuer, etwa vierhundert Franken. Dann erzählte ich ihm, dass man aus Ziegenmilch auch sehr guten Käse machen kann. Eine Ziege kostet nur etwa fünfzig Franken. Ich habe ihm versprochen, dass, wenn das Centre eröffnet ist, wir zwei zum Viehmarkt fahren und ich ihm und seiner Familie eine Ziege schenke. Ich hoffe, dass jemand von euch weiss, wie man Ziegenkäse herstellt. Ich brauche ein einfaches, brauchbares Rezept. Und falls man irgendwelche Kulturen braucht, müsste man die Dänu zur Eröffnung des Centres in Pulverform mitgeben.

Heute kamen 25 Kinder! Und ich sage euch, die sind so anständig! Die sind wirklich nicht wie 25 Kinder. Das KiTa Geschäft (grosse Worte für ein paar Toamten) läuft. Auch die Sensibilisierung läuft. Wir haben schon etwa hundert Haushalte erreicht.

Eigentlich wollte ich Arbeitsabläufe fürs Centre schreiben, aber ihr seht selbst, es war schwierig sich zu konzentrieren. Die Kinder fanden es sehr lustig am Fliegengitter zu kleben und mich zu necken. Es ist ehrlich gesagt nichts wirklich Schlaues herausgekommen. Dafür freuten sich die Kinder über die Foto, die ich gemacht habe, schaut was sie mit ihren Fingern machen, das ist anscheinend international. Sie fanden es super cool, dass man die Handzeichen auf dem Foto sieht.

Das Essen geniessen die Kinder besonders. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht genau, warum Kinder in einer Gegend wo so vielfältiges Gemüse wächst, so schlecht ernährt werden. Um Omars heiss gewünschte Entwicklung des Dorfes voranzutreiben braucht es noch extrem viel! Aber wir sind auf dem Weg.