Eigentlich wollte ich eine Geschichte schreiben, wollte nicht über meine Erlebnisse berichten, sondern eine Geschichte erfinden, eine Geschichte, die sich hier in Koutaba abspielt. Aber es geht nicht, ich schaffe es nicht, die wahren Emotionen, den Einfluss der Traditionen, den wirklichen Alltag zu fühlen. Ich kann es mir vorstellen, im Kopf, ich kann es ab und zu auch im Bauch spüren, ich weiss zwar immer mehr, ich weiss gleichzeitig immer weniger.
Wie ist es tatsächlich, in einer Hütte aus Lehmsteinen zu wohnen, jeden Tag zu hoffen, dass genug zu Essen für alle hier ist? Wie ist es zu wissen, dass die eigenen Kinder sterben, weil man zu wenig hat, dass die Kinder wahrscheinlich ein vergleichbares Leben führen werden, dass es kein Entrinnen gibt?
Gerne hätte ich eine Geschichte geschrieben, eine Geschichte von einer Frau, die ausbricht, die ihr Leben in ihre Hand nimmt und die es schafft, ein besseres Leben zu leben. Die Frauen hier sind sehr stark, sie übernehmen die Initiative, sie sorgen für ihre Familien. Gleichzeitig sind sie schwach, sie haben keine Bildung, sie können sich nicht vorstellen, dass man Sachen auch anders machen könnte. Sie kämpfen mit dem, was sie auf ihren Weg mitbekommen haben, sie machen das Beste daraus, aber sie haben keine Möglichkeit, Neues zu lernen, Neues zu testen.
Wie ist es in einem Land zu leben, das dir jeden erdenklichen Stein in den Weg legt, wenn du etwas verändern möchtest, in einem Land zu leben, wo du schon mit sechzehn Jahren verheiratet wirst, womöglich mit einem Mann der dreimal so alt ist wie du und schon ein paar Frauen hat, in einer Ehe zu leben, in der du an deiner Kinderzahl gemessen wirst? Ich könnte die Geschichte immer nur aus meiner Sicht schreiben und ich wäre mit viel zu viel Wissen ausgestattet (und das obwohl ich oft das Gefühl habe, unwissend zu sein, denn es gäbe noch so vieles, das sich zu erfahren, zu erfühlen, zu Wissen lohnen würde).
Wenn Ajara mir von ihrem Mann erzählt, dann bin ich schockiert, dann denke ich, warum wehrst du dich nicht, warum verlässt du ihn nicht, und dann muss ich mir eingestehen, dass das hier Normalität ist und dass eine Frau ihren Mann nur verlassen darf, wenn er gewalttätig ist, ein Mann aber seine Frau aus jedem Grund verlassen darf. Omar, der für hiesige Verhältnisse sehr offen ist, glaubt dass die Männer die Frauen beschützen müssen. Frauen sind, auch für ihn, unfähig alleine zu bestehen. Wie kann ich da eine Geschichte aus der Sicht einer Frau in Koutaba schreiben? Es ist unmöglich.
Es ist ein wenig, wie wenn unsere Grossmütter erzählen, wenn wir zurück denken an die Zeit, als die Frauen bei uns nicht wählen, nicht abstimmen durften, als sie nur mit Erlaubnis ihres angetrauten Ehegatten arbeiten und Autofahren lernen durften, kein eigenes Bankkonto hatten, ohne Unterschrift des Gatten keine Unterbindung durchführen konnten, nur noch extremer. Und was so schlimm ist, die Frauen glauben den Mist der Männer, all die Gehirnwäschen, die Mantra, Frauen sind schwächer, Frauen sind dümmer, Frauen wissen nicht was sie tun, sie sind eingebrannt, in Fleisch und Blut.
In einem Kurs in Soziologie ging es um die Geschlechter, es ging darum, dass wir von zwei Geschlechtern ausgehen, dass jedoch, wenn wir eine rein genetische Sicht haben, viele Varianten existieren. Aber, unsere Sicht ist und bleibt, zwei Geschlechter. Etwas das wir zwar nur gelernt haben und trotzdem als völlig selbstverständlich ansehen, etwas das uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, etwas das wir nicht einfach so, anders sehen können. Etwa so stelle ich mir die Situation der Frauen hier vor.
Darum kann ich leider keine erfundene Geschichte erzählen, darum werde ich weiter meine Erlebnisse beschreiben, denn auch eine Geschichte, in der ich die Protagonistin wäre, eine Erfolgsstory über das erste, einzige Centre de Santé in Kamerun, wo alles perfekt läuft, kann ich nicht schreiben, Inshallah, entsteht die Geschichte durch das Erlebte und wenn nicht perfekt, wer weiss, vielleicht keimt ein kleiner Samen, vielleicht wächst ein Pflänzchen.