Missbrauch

Heute kamen Omar und ich ins Centre und es war nicht schön. Wir trafen dort vier Frauen mit ihren Kindern an, die ihre Töchter zur Untersuchung brachten. Ein Mann aus dem Dorf hat die sechs Mädchen missbraucht. Der Mann war schon im Gefängnis wegen Missbrauch von Mädchen. Jetzt ist er verschwunden, geflüchtet. Ich war beeindruckt von diesen Müttern, die versuchen ihre Töchter zu beschützen. Die nach der Untersuchung der Mädchen zum Chef du village mussten um alles noch einmal zu erzählen und die heute gegen Abend mit den Vätern noch einmal zum Chef du village zurückkehren mussten um alles noch einmal zu besprechen. Um dann, wahrscheinlich morgen, bei der Gendarmerie noch einmal darüber zu sprechen. Ich war dankbar, dass im Centre nur Frauen arbeiten, dass ihr erster Schritt, die Untersuchung der Mädchen, zusammen mit anderen Frauen gemacht werden konnte. Es ist schrecklich.

Ich bin da gesessen und habe mich daran erinnert, wie unsere Eltern uns gewarnt haben, gewarnt vor Männern, die Kinder verschleppen, gewarnt vor Männern, die freundlich scheinen, aber nicht sind. Ich erinnerte mich, dass sie gesagt haben, das wir auch mit Männern, die wir kennen vorsichtig sein müssen, dass man nie sicher ist. Und ich erinnerte mich, wie abstrakt das war, wie unsicher ich wurde, wie ich mir eigentlich nicht vorstellen konnte, dass es Menschen gibt, die so etwas machen. Heute weiss ich es, im Kopf, aber ich kann es immer noch nicht nachvollziehen, es bleibt unvorstellbar.

Ich bin froh für die Mädchen, dass ihre Mütter reagiert haben, dass sie sie ernst genommen haben und dass auch der Chef du village sie ernst nimmt. Vielleicht hilft das bei der Heilung.

Was irritierend war, alle Praktikantinnen waren im Behandlungsraum versammelt, auch mich hat man bei der Ankunft sofort dort hinein geschleppt. Ich bin gleich wieder rausgegangen und habe geschaut, dass die Praktikantinnen diskret hinaus befördert werden. Nachdem die Frauen mit ihren Kindern zusammen mit Omar zum Chef du village aufgebrochen waren, bat ich Apoline um ein Gespräch.

Es kann, es darf nicht sein, dass mehr Personen im Behandlungszimmer sind als nötig. Es kann nicht sein, dass die zum Teil sehr jungen Frauen dort drinn stehen und gaffen. Was ist mit der Schweigepflicht? Apoline versicherte mir, was im Behandlungszimmer geschehe bleibe auch dort und bei der Untersuchung habe sie alle rausgeschickt. Und trotzdem, es ist unangenehm, wenn du deine Geschichte vor einem grossen Publikum erzählen musst. Und, die Praktikantinnen sind zum Teil Schülerinnen, vielleicht viehrzehn Jahre alt, vielleicht weniger, wie werden die das gehörte verarbeiten? Was passiert jetzt mit ihnen? Mit wem sollen sie darüber sprechen, wenn Schweigepflicht herrscht? Apoline gab mir den Punkt.

Ich weiss, dass hier vieles anders ist als bei uns, dass die Leute, bevor sie eine Anzeige machen können zum Chef du village gehen müssen, aber gerade deshalb glaube ich, dass auch vieles gleich ist, dass wir Menschen sind und in vielem ähnlich funktionieren.

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